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BESSER FAHREN LERNEN


Der Beitrag von Prof. Adolf-Eugen Bongard zum CIECA Kongress 2008 in Zagreb, Kroatien:

Mobilitätskurse an Schulen, verknüpft mit Fahrausbildung – Sinn und Zweck eines Leitprojekts der Berliner Lokalen Agenda 21

Die Agenda 21, ein Aktionsprogramm, das 1992 auf der Rio-Konferenz von über 170 Staaten verabschiedet wurde, handelt nicht nur von Umweltproblemen und Umweltschutz. In ihr sind vielmehr Ziele, Maßnahmen und Instrumente für eine „nachhaltige Entwicklung“, „a sustainable development“ vereinbart. Soweit Missstände an einem prinzipiell positiv zu wertenden System erkannt werden, sollen sie nachhaltig behoben werden.

Ein nachhaltig zu behebender Missstand ist generell die Art und Weise, wie Autos benutzt, wie mit Kraftfahrzeugen gefahren wird, nämlich: zu viel, zu schnell, zu riskant, insgesamt zu wenig umweltbewusst, schlimmer noch: unzivilisiert, unkultiviert, häufig rücksichtslos, inhuman.

Mehr als nur ein Missstand, ein brisantes Problem, das dringend gelöst werden muss, ist allgemein längst bekannt: Seit Jahrzehnten sind die Unfallzahlen von jungen, vor kurzem erst zugelassenen Fahrern unverhältnismäßig hoch. Weder die Einführung der Fahrerlaubnis auf Probe, noch Nachschulungen haben nachhaltig zur Lösung dieses Problems beigetragen.

Es ist ein Ausdruck zumindest von Hilflosigkeit, wenn diese Unfälle auf die jungen Fahrer selbst, auf ihre Risikofreudigkeit und dergleichen mehr zurückgeführt werden. Solche Erklärungen helfen kaum weiter. Wie man mit jungen Menschen, mit Jugendlichen umgehen muss, wenn man ihr Verhalten und ihre Einstellung nachhaltig verändern will, wissen und können Fahrlehrer, auch nachgeschulte, nicht. Es setzt bei denen, die das versuchen, professionelle pädagogische Kompetenz voraus, das heißt: eingehende Beschäftigung mit Bildung und Erziehung in einer längeren Ausbildung auf hohem Niveau.

Die benannten Missstände sind zurückzuführen auf das zu Beginn des vorigen Jahrhunderts vom Obrigkeitsstaat eingeführte und dann beibehaltene Erlaubniswesen mit seiner daraus resultierenden Vorbereitung und Kontrolle der Zulassung – damals: von Erwachsenen! – als Führer von Kraftfahrzeugen zum Straßenverkehr.

Der Straßenverkehr wurde im Zuge der Verbreitung von Autos von der zuständigen Behörde als technisches System – wie die Eisenbahn – aufgefasst und behandelt. Das lässt sich noch heute am deutschen Straßenverkehrsgesetz ablesen. Kraftfahrzeuge in der Definition dieses Gesetzes sind „Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegt werden, ohne an Bahngleise gebunden zu sein“. Die Vorbereitung auf die Fahrerlaubnisprüfung wurde und wird gleichgesetzt mit der Vorbereitung auf den Straßenverkehr als ein System, in dem Menschen sich entlang fester Regeln als Gleisen nach Vorschriften bewegen sollen. Sie sollen – insoweit ähnlich wie Maschinen – funktionieren, sich auffassen als Teil eines technischen Systems. Die Vorschriften für den Straßenverkehr ersetzen nach dieser Denkweise gewissermaßen in den Köpfen die fehlenden Bahngeleise. Die Straßen als Lebensraum der Menschen wurden zunehmend zu Fahrbahnen umgedeutet.

Noch heute ist ein- und dieselbe Behörde zuständig für die Zulassung von Kraftfahrzeugen zum Verkehr und für die Erteilung der Fahrerlaubnis, also für die Zulassung von Menschen als Kraftfahrer zum Verkehr. (An einem Beispiel kann die Art und Weise des Vorgehens der zuständigen Behörde und dabei das Versagen vor der Aufgabe, eine umweltbewusste, energiesparende Fahrweise bei neu zugelassenen Fahrern zu erreichen, überzeugend aufgezeigt werden.)

Tatsächlich ist der Straßenverkehr ein soziales System, in dem Anforderungen an das Verhalten gestellt werden, die höher sind als das, was Gegenstand einer Fahrerlaubnisprüfung sein könnte. Wer als Kraftfahrer am Verkehr teilnimmt, braucht mehr als nur die Fähigkeit, ein Kraftfahrzeug führen zu können, und Kenntnis der Verkehrsvorschriften. Was er braucht, ist Mobilitätskompetenz, und die wird in der Fahrschule nicht vermittelt, dazu gehört (für als notwendig erkannte Änderungen im Verhalten der Fahrer) mehr als im System von Prüfung und der Vorbereitung darauf vorgesehen ist. Dazu braucht man Mobilitätskurse unter pädagogischer Regie. Mit noch so sorgfältig ausgearbeiteten Handreichungen bis hin zu erprobten Curricula ist den erkannten Defiziten auch bei eifrig „nachgeschulten“ Fahrlehren nicht abzuhelfen.

Die als Ausbildung bezeichnete Vorbereitung von Bewerbern um eine Fahrlehrerlaubnis wurde in einem aufwendigen Forschungsprojekt untersucht. Darin wurde ermittelt, was in der nur fünfmonatigen „Ausbildung“ gelernt und dann von so ausgebildeten Fahrlehrern an ihren Fahrschulen erwartet werden durfte – nämlich: nur eine auf bestimmte Prüfungsanforderungen ausgerichtete Schulung ihrer Kunden, gerade auch der Fahranfänger, unter kommerziellen Rahmenbedingungen.

Missstände der Fahrlehrerausbildung wurden auf den 1983 veröffentlichten Forschungsbericht hin erst 1998 durch Ergänzung der nur fünfmonatigen „Grundausbildung“ durch eine (vorher nicht existierende) „praktische Ausbildung“ von viereinhalb Monaten in einer Fahrschule zwar nicht behoben, aber verringert. Was seither an pädagogischem Prüfungswissen vermittelt wird, bleibt natürlich weit hinter dem zurück, was an professioneller pädagogischer Kompetenz in der Lehrerausbildung an Hochschulen vermittelt werden kann. Ab wann die Erweiterung der immer noch weniger als ein Jahr dauernden „Ausbildung“ von Fahrlehreranwärtern sich auf die Arbeit in den Fahrschulen auszuwirken beginnt, lässt sich denken.

Ungeachtet der durch unsere Forschungsarbeiten und den unmittelbaren Umgang mit Fahrlehrern gewonnenen Erkenntnisse über das, was von Fahrlehrern bestenfalls geleistet werden kann, entwickelten wir an der TU Berlin schrittweise eine den jungen Fahranfängern potenziell besser gerecht werdende Vorbereitung auf das Autofahren, nämlich ein auf junge Menschen abgestimmtes Konzept einer Ausbildung zu pro-sozialem und ökologischem Verkehrsverhalten.

Im Hinblick auf das für 1995 ausgerufene „Jahr des jungen Kraftfahrers“ stellte die TU Berlin dies als ein Kooperationsprojekt vor. Die wichtigsten Elemente des Konzepts sind: Gruppenfahrausbildung, Vorlauf zur Fahrschulausbildung. Neugestaltung des Theorie-Unterrichts, Einsatz von Fahrtrainern, Übungen auf dem Fahrhof und schließlich: Supervisionsfahrten, bei denen die Schüler/innen gegen Ende der Ausbildung vorab festgelegte Strecken fahren, wobei sie allein im Fahrzeug sitzen und eine Funkverbindung zum Fahrlehrer haben, der sie in einem zweiten Fahrzeug begleitet und beaufsichtigt – wie das bei der Schulung von Motorradfahrern längst gebräuchlich ist.

In letzter Konsequenz wurde uns allerdings klar, dass eine Ausbildung zu pro-sozialem und ökologischem Verkehrsverhalten von den kommerziellen Fahrschulen allein nicht zu erwarten, bei ihnen nicht zu erreichen ist. Das war für uns Grund genug, eine Beteiligung der Schule an der Vorbereitung junger Menschen auf das Fahren mit Kraftfahrzeugen zu erproben. (In Deutschland ist inzwischen seit 1997 im Straßenverkehrsgesetz als Maßnahme rechtlich anerkannt „eine Ausbildung, die schulische Verkehrserziehung mit der Ausbildung nach den Vorschriften des Fahrlehrergesetzes verknüpft“, als Voraussetzung für die Erteilung der Fahrerlaubnis.)

Über das an der TU Berlin entwickelte Ausbildungskonzept zur Verknüpfung von schulischer Mobilitätserziehung und Fahrausbildung wurde auf dem 6. International Workshop „Driver Improvement“ 1997 in Berlin Bericht erstattet. Der Bericht wurde unter dem Titel „Fahrausbildung mit der Schule – Grundzüge des Gesamtkonzepts einer nachhaltigen Fahrausbildung jugendlicher Fahranfänger zu sozialkompetentem und umweltbewusstem Fahren“ von der Bundesanstalt für Straßenwesen in der Reihe „Mensch und Sicherheit“ publiziert. Der Bericht ist auch (gedacht für Lehrer, die einen Mobilitätskurs moderieren wollen) als pdf-Dokument unter www.besser-fahren-lernen.de veröffentlicht.

Was die verantwortliche Behörde sich bei der vorgeschlagenen Verknüpfung gedacht und in der Begründung des Gesetzes vorgebracht hat, zeugt von wenig Sachverstand auf schulpädagogischem Gebiet, kann aber zumindest als Anerkennung der Notwendigkeit aufgefasst werden, die Schule an der notwendig zu erweiternden Fahrausbildung zu beteiligen.

Verkehrserziehung in der Schule hat sich bisher fast nur als Kinderverkehrserziehung, oft genug helfenden Polizeibeamten überlassen – höchstens bis zur Radfahrprüfung der Zehn- bis Zwölfjährigen – entwickelt. Mofakurse, die vereinzelt an Schulen angeboten wurden, haben sich nicht durchgesetzt. In Städten sprechen so viele Gründe gegen sie, dass dort bestenfalls Anti-Mofa-Kurse angebracht sind, bei denen die Vorzüge von Fahrrad und ÖPNV gegenüber Mofas als Verkehrsmittel herausgestellt werden. Eine Mobilitätserziehung, in der auch Konzepte wie Hans Monderman’s „concept of „shared space“ behandelt werden, setzt umfassendere Bildung im Mobilitätskurs als „Kurs über humane Fortbewegung“ voraus.

Die jugendlichen Schüler und Schülerinnen halten nach den als Kinder gemachten Erfahrungen mit Verkehrserziehung nichts davon, sich noch einmal über Verhalten im Verkehr belehren zu lassen. Das für sie Interessante ist inzwischen längst der Führerschein, den sie in absehbar kurzer Zeit erlangen wollen. Und dabei kann die Schule ihnen bis jetzt nicht helfen. Sie wollen, fragt man sie, nicht „fahren lernen“, sondern „den Führerschein machen“. Das Übel einer mit hohen Kosten verbundenen, „Fahrausbildung“ genannten Prüfungsvorbereitung nehmen sie, soweit finanziell dazu in der Lage, in Kauf, weil und solange keine akzeptable Alternative in Sicht ist. Sie müssen also – ebenso wie die Lehrer – für Mobilitätskurse in der Schule erst gewonnen werden. Dazu überzeugende Anreize zu bieten ist unerlässlich.

Von der Einführung von Mobilitätskursen ist im Folgenden die Rede – ausgehend von der in Rio vereinbarten Agenda 21. Vereinbart wurde 1992 laut Kapitel 28.3 der Agenda 21: Jede Kommunalverwaltung soll in einen Dialog mit ihren Bürgern, örtlichen Organisationen und der Privatwirtschaft eintreten und eine „kommunale Agenda 21“ beschließen. Die Schwierigkeiten eines solchen Vorgehens waren absehbar, sie zu überwinden ist auch in Deutschland nicht leicht.

Um dem nach langwierigen Vorarbeiten vorgelegten ersten Entwurf einer Agenda 21 Berlin mehr Bürgernähe zu verschaffen, wurden im Jahr 2003 zu verschiedenen Themen Bürgerversammlungen veranstaltet. Zum Thema „Mobilität“ fand eine besonders rege und zahlreich besuchte Versammlung im Rathaus von Berlin statt. Auf dieser Versammlung erhielt überraschend viel Beifall der von mir erläuterte Vorschlag, an zunächst nur wenigen Schulen im Sekundarbereich „Mobilitätskurse, verknüpft mit Fahrausbildung“ einzurichten und die daran teilnehmenden Schülerinnen und Schüler mit einem „Mobilitätspass“ zu belohnen. Der Mobilitätspass sollte es ihnen ermöglichen, nach Erwerb ihrer Fahrerlaubnis mehrere Jahre lang öffentliche Verkehrsmittel zu ermäßigten Preisen zu benutzen. Sie sollten auf diese Weise nicht nur für ihr Engagement belohnt, sondern zu sozial vernünftiger und umweltgerechter Mobilität bewogen und davon abgehalten werden, nach Erlangung der Fahrerlaubnis überwiegend mit dem Auto mobil zu sein, wie das bisher meist der Fall ist.

Im weiteren Verlauf der Ausarbeitung der Berliner Lokalen Agenda 21 wurde unter mehreren anderen Vorschlägen das Projekt „Mobilitätskurse an Schulen“ als Leitprojekt ausgewählt – im Ergebnis als eines von nur zwei Leitprojekten im Fachforum Bildung. Alle Leitprojekte wurden gemeinsam mit Vertretern der Senatsverwaltung formuliert. Die ausgereifte endgültige Fassung der Agenda 21 Berlin wurde am 8. Juni 2006 vom Abgeordnetenhaus, dem Berliner Parlament, beschlossen, wobei die Leitprojekte in den Anhang dieser Fassung aufgenommen wurden. Der Beschluss lautet: „Das Abgeordnetenhaus erklärt die Agenda 21 Berlin zur Leitidee der künftigen Landespolitik. Der Senat wird aufgefordert, die Agenda 21 Berlin als Leitidee seiner künftigen Politik aufzunehmen und die aufgeführten Qualitäts- und Handlungsziele so schnell wie möglich umzusetzen.“

Was bis dahin schon zur Umsetzung des Leitprojekts „Mobilitätskurse“ vom Institut für Verkehrspädagogik und von der Schulverwaltung unternommen wurde, noch bevor es die offiziell in Planung befindlichen ersten 100 Mobilitätspässe gibt, ist dem Internet unter www.besser-fahren-lernen.de zu entnehmen.

Im Dezember 2007 erschien das erste Informationsmagazin von „Berlin 21“, einem inzwischen gegründeten Verein zur Förderung aller Agenda-Aktivitäten. Anfang dieses Jahres erschien die zweite Ausgabe. Wer schnelleren Fortschritt erwartet hat, unterschätzt die Schwierigkeiten, die in Berlin wie anderenorts bei Agenda-21-Projekten zu überwinden sind.

Die Umsetzung des Agenda-Programms wird sich nur langsam, schrittweise vollziehen und vermutlich die nächsten Jahrzehnte in Anspruch nehmen.

Prof. Adolf-Eugen Bongard, 2008