Wirtschaftswoche 39/17.9.1998

AKTIEN
Macht der Sterne
Je unberechenbarer die Börse wird, desto mehr haben sie Zulauf: die Astrologen unter den Aktienanalysten.

Warum schuf Gott Ökonomen? Damit die Meteorologen nicht immer als einzige mit ihren Prognosen falsch liegen. Diesen Witz erzählt Henry Weingarten immer dann, wenn jemand Zweifel auch an seiner Profession äußert. Und das ist nicht selten. Denn Henry Weingarten ist Finanzastrologe. „Astrologie ist ganz sicher keine exakte Wissenschaft“, sagt der Autor des Buches „Investing by the Stars“ (Investieren nach den Sternen), „doch sie ist das beste Werkzeug, um das Auf und Ab an der Börse vorherzusagen.“

Die aktuelle Baisse sorgt für einen Boom jener Sternendeuter, die Investitionshilfe geben – in den Vereinigten Staaten genauso wie in Deutschland. Neue Astro-Dienste im Internet erscheinen so rasch wie Sternschnuppen am nächtlichen Himmel. Astrologische Finanz-Newsletter finden neuen Absatz und die telefonischen Hotlines der AstroBroker haben regen Zulauf. „Wenn es der Börse schlecht geht, blüht das Geschäft der astrologischen Anlageberater“, sagt Walter Hoffmann vom Börsenbuch-Verlag in Kulmbach.

Hoffmann sorgt dafür, daß die Esoterikfans unter den deutschen Anlegern den monatlichen Newsletter und die täglichen Börsenkommentare des Amerikaners Arch Crawford erhalten. Allein für den Newsletter bezahlen sie rund 500 Mark pro Jahr.

Crawford ist schließlich der Star unter den Sternendeutern. Aus Tucson in Arizona informiert er Investoren bereits seit 21 Jahren darüber, was die Sterne ihm verraten. „Im Kreis von Wissenschaftlern respektiert niemand meine Arbeit“, sagt Crawford, „doch an der Wall Street ist das anders. Dort zählt nur, wer in der Vergangenheit richtig lag, nicht mit welchen Mitteln er das geschafft hat.“

Über Crawfords Prognosen berichtet das „Wall Street Journal“. Im Wirtschafts-Fernsehsender CNBC ist er besonders an heiklen Börsentagen ein gern gesehener Gast. Auch in der wöchentlichen Anleger-Bibel „Barron's“ – darin wurde er zum „bekanntesten Astrologen der Wall Street“ gekürt – kommt der Finanzastrologe immer wieder zu Wort. Denn Crawford lag in der Vergangenheit oft goldrichtig. So warnte er am 24. August 1987: „Raus aus allen Aktien.“ Der Dow Jones erreichte einen Tag später seinen Höchststand und sieben Wochen später folgte der Crash.

Crawfords Newsletter „Crawford Perspectives“ wurde vom „Hulbert Financial Digest“ , einem angesehenen Bewerter von Börsenbriefen, zum Dienst mit dem besten Timing in der ersten Hälfte der neunziger Jahre ernannt. „Astrologie wird an der Börse neben der Fundamental- und technischen Analyse zunehmend zur dritten Kraft“, behauptet Henry Weingarten selbstbewußt. Seine Analysen werden seit kurzem gerne auch auf den speziell für Investorinnen konzipierten Finanzwebseiten von „moneyminded.com“ abgerufen.

Zur astrologischen Beurteilung einer Aktie benutzen die Astro-Analysten das Geburtshoroskop des Unternehmens. „Manche verwenden das Datum der Börseneinführung, ich bevorzuge das Datum der Eintragung ins Handelsregister“, sagt Carol Mull, die in Indianapolis seit 13 Jahren ihren Newsletter „The Astro Investor“ herausgibt. Mit Hilfe von Astrologie-Computerprogrammen, die zukünftige Planetenstände berechnen können, wagen die Finanzastrologen den Blick in die Zukunft. „Für den Deutschen Aktienindex verwenden wir den Tag seiner ersten Veröffentlichung am 1. Juli 1988“, erklärt Hannes Bongard, „der Geburtsort ist Frankfurt.“

Bongard ist neu in der Szene. Erst seit August [1998] offeriert der Berliner Informatiker seinen Internetservice „astrobroker.de“. Zur Premiere im Netz analysierte Bongard die Aktie der Deutschen Telekom (siehe Grafik Seite 196). „Grundlegend günstige Voraussetzungen für einen stabilen Stand an der Börse“, sieht der Internet-Astrologe für die Volksaktie, die im Sternzeichen des Skorpion geboren wurde. Doch auch an astrologischen Warnzeichen mangele es nicht. „Der Mond in den Fischen steht in einem Spannungsaspekt zur Sonne im Skorpion“, orakelt Bongard, was „auf Störungen zwischen der Firma und der Öffentlichkeit“ schließen läßt.


STERNBILD T-AKTIE: Der Mond in den Fischen steht in einem Spannungsaspekt zur Sonne im Skorpion

Der Finanzastrologe attestiert der Telekom ein „problematisches Mutter-Verhältnis“ aufgrund von „Pluto im 10. Haus.“ Der Wunsch, sich von der Vergangenheit zu lösen, sei bei der Telekom groß, so Bongard. Da dürfte ihm Telekomchef Ron Sommer nach seinen Auseinandersetzungen mit der Deregulierungsbehörde wohl zustimmen.

Für zwölf Mark im Monat erhalten Abonneten von „astrobroker.de“ eine Analyse des Deutschen Aktienindex (Dax). Mit dabei ist jeweils eine ausführliche Besprechung von Aktien. Zuletzt ging es dabei um Adidas-Salomon. Den Turnschuhschneidern aus Herzogenaurach, deren Aktienkurs nach der Übernahme der französischen Salomon kräftig einbrach, verheißen die Sterne auch für die nächste Zukunft wenig gutes: „Nicht vorschnell investieren“, lautet die warnende Botschaft der Planeten.

Die Finanzastrologen gelten allerdings als notorische Schwarzseher. Zwar erwartet Carol Mull in diesem Herbst eine leichte Erholung an der US-Börse, doch mit einer Baisseprognose für die zweite Hälfte des nächsten Jahres paßt sie sich dem Negativ-Image ihrer sterndeutenden Kollegen wieder an. Es gibt aber doch noch einige tröstliche Ausnahmen: Gutes verheißen die Sterne, so Mull, für Northtrop Grumman. Die US-Rüstungsaktie hat zuletzt schon mehr als die Hälfte ihres Wertes gegenüber dem Jahreshoch eingebüßt.

Wer an die Sprache der Sterne glaubt, sollte allerdings nicht nur auf Northrop setzen, sondern auch auf Gold. Denn zwischen Februar und Juli 1999 sieht die Astrologin aus Indianapolis besonders positive Konstellationen für das gelbe Metall, dem seit Jahren Investoren die kalte Schulter zeigen.

Wie Carol Mull erwartet auch Henry Weingarten zudem für ausgewählte Pharmawerte glückliche Sternstunden. Noch bis 23. September im Zeichen der Jungfrau stehend, rät Weingarten zum Kauf der Anteilscheine des Viagra-Herstellers Pfizer - solange der Wert deutlich unter 100 Dollar liegt. Beim Pharma- und Reinigungsmittelproduzenten Johnson & Johnson rät der Chef des New Yorker Astrologers Fund erst bei Kursen um 52 Dollar zum Einstieg - beinahe 25 Dollar unter der derzeitigen Notierung.

Im allgemeinen erinnern die Vorhersagen der Sternendeuter eher an die dunklen Prognosen des Nostradamus. Rober Hitt verheißt auf seiner Webseite „astroecon.com“ nichts gutes für das ausgehende Jahrtausend. Einen „weltweiten Bärenmarkt“ sieht der Astrologe basierend auf den Positionen von Saturn, Neptun und Pluto voraus. Doch wittert Hitts auch Chancen in der Katastrophe: „Am Boden der wirtschaftlichen Unruhen gegen Ende 1999 ergibt sich für Anleger die beste Investitionsgelegenheit der nächsten 50 Jahre.“

Doch wie das Kapital bis dahin retten? Astrologen-Guru Arch Crawford empfängt derzeit keinerlei positive Nachrichten aus dem All. Nach einer kleinen Rally Anfang Oktober kracht es seiner Sterneninterpretation nach um den 29. Oktober erst so richtig. Dann soll der von Crawford schon lange angekündigte Einbruch des Dow um bis zu 50 Prozent gegenüber dem Höchststand erfolgen. Das weltweit wichtigste Börsenbarometer stünde dann nur noch auf Stand 4700.

Da können die Anleger nur hoffen, daß jene recht behalten, die Finanzastrologie als unseriösen Hokuspokus abtun. Doch selbst unter den Top-Profis vertrauen einige auf die Macht der Sterne. So konsultierte zum Beispiel der amerikanische Bankier J.P. Morgan, Gründer des gleichnamigen weltbekannten Finanzinstituts, regelmäßig eine Astrologin. Nach einem Blick auf das Horoskop seines Sohnes soll die Sternendeuterin Evangeline Adams gar den Börsencrash von 1929 vorausgesagt haben.

MICHAEL BAUMANN/NEW YORK

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